UKEMI

... sich schützen

Das UKEMI oder die Gewissheit der Kirschblüten

Als ich letztes Wochenende im Bonsaigarten in Ferch das Sakura Matsuri erleben wollte, war es ungewöhnlich kalt und ich borgte meiner Mutter, die zu Besuch bei mir war ein paar Handschuhe und einen Schal aus. In Gedanken beruhigte ich mich damit, dass wir uns ja in dem Teehaus immer wieder aufwärmen konnten, nachdem wir langsam und bedächtig durch den übersichtlichen Garten geschlendert wären. Meine Mutter liebt Pflanzen über alles und kennt sich entsprechend gut aus. So sind solche Besuche in Gärten immer etwas besonderes für sie. Wir bleiben meistens an jeder Pflanze lange stehen und sie betrachtet sie. Sie staunt und wundert, erzählt und fragt; manchmal auch dort Arbeitende oder Vorübergehende, die auch so interessiert scheinen wie sie.

Und so kommt sie auch mit dem dort arbeitenden Gärtner ins Gespräch und fragt nach einer besonderen Kamelienart. Über die Bemerkung, wie kalt es doch noch in diesem Jahr sei, entspinnt sich ein wohl wieder längeres Gespräch. Ich merke, wie die Kälte von meinen Füßen hochsteigt und ich überlege, wie ich meine Mutter geschickt zum Weitergehen veranlassen könnte...

Da fragt der Gärtner plötzlich: "Wissen Sie, dass dieses Jahr ein besonderes für die Kirschblüten ist?" Meine Mutter verneinte. Er erklärte daraufhin, dass durch die kalten Aprilwinde die Kirschblüte wahrscheinlich über 20 Tage andauern würde. Das war sehr ungewöhnlich, denn in normalen Jahren währt das Sakura Matsuri nur wenige Tage z. B. bei über 25 °C nur 2 Tage.
Die Pflanzen / Blüten schützen sich vor der Kälte, indem sie einfach langsamer zur Reife kommen.
"Ist das ein geniales Ukemi?", dachte ich und fragte deshalb den Gärtner, ob denn dadurch die Früchte nicht später zur Reifung kommen, vielleicht sogar zu spät? Er lachte und sagte: "Nein, im Laufe des Frühsommers holen sie diese Verzögerung so Stückchen für Stückchen wieder auf und pünktlich zum Spätsommer sind die Kirschen am Baum! Alles in der Natur ist immer zur rechten Zeit!"

Meine Mutter murmelte ein: "Erstaunlich, das habe ich nicht gewusst ." Wir bedankten uns und schlenderten fröstelnd dem Teehaus zu. "Ja", dachte ich, "die Blüten machen sich keine Sorgen. Sie sind den Aprilwinden nicht gram deswegen. Sie kämpfen nicht mit ihnen um ihren zeitlichen Platz - sie hätten ja auch keine Chance. Sie verändern auch nicht ihre Form oder Farbe. Sie gehen eben nur langsamer auf und in der "Gewissheit", dass ihre Zeit ja kommt, können sie  die "Verspätung" (die ja eine solche nicht ist) bis zu den Früchten aufholen."

Dankbar für dieses Gespräch genoss ich den Tee, gemeinsam mit meiner Mutter im warmen Haus.
Kurz bevor wir aufstanden und gehen wollten, lächelte sie mir zu und sagte:
"Ach, hätten wir doch immer die Gewissheit der Kirschblüten."

Christine Seidel
April 2016